So vergänglich wie sie duften
Die Rolle der Nase bei Festen der Frühen Neuzeit
Carmen González-Román • Concepción Lopezosa Aparicio • Rudi Risatti • Andrea Sommer-Mathis
Caspar Luyken, Der Geruchssinn, 1698–1702. Amsterdam, Rijksmuseum, Inv.-Nr. RP-P-1896-A-19368-1937.
* Animation erstellt mit KI
Der Geruchssinn ist einer der ersten Sinne, die der Mensch entwickelt.

Im Erwachsenenalter scheint er jedoch eine untergeordnete Rolle zu spielen
Stimmt das wirklich
?
Im Wechselspiel von guten und schlechten Gerüchen
und üblen Düften
zeigen viele Feste der Frühen Neuzeit die Bedeutung
unserer Nase
für kulturelle Erlebnisse
Ein bestimmter Duft konnte signalisieren, wie besonders dieses Ereignis war
Georg Christoph Eimmart, Qui thuribulis accensa ferebant suffimenta. Aus: “Das große Carrosel Und Prächtige Ring-Rännen […]”, gedruckt einige Zeit nach der Krönung Karls XI. in Stockholm im Jahre 1672. Wien, Sammlung McCargar.
Und tatsächlich waren diese Feste so vergänglich wie ihre Gerüche
Man denke nur an Feuerwerke …
Beim Riechen geht es letztlich um ‚erweiterte Szenografie‘ …
in frühneuzeitlichen Festen ebenso wie…
Feste unter freiem Himmel
Der außergewöhnliche Charakter von Festlichkeiten in der Stadt manifestierte sich durch sensorische Mittel, wie etwa durch aromatische Gerüche, die den städtischen Raum ebenso erfüllten wie die Innenräume von Tempeln und Palästen und dabei Düfte erzeugten, die zu reinen olfaktorischen Metaphern wurden.
Religiöse Prozessionen in der Stadt
An diesen Festtagen war die Stadt von ungewöhnlichen Gerüchen erfüllt. Unter anderem konnte man den Duft des Wachses von Kerzen, Fackeln und Kandelabern riechen.
Der Einsatz von Blumen und anderen Pflanzen wie Rosmarin bei Feierlichkeiten auf Straßen und Plätzen regte den Geruchssinn an und diente dazu, unangenehme Gerüche aus der Umgebung zu überdecken.
Religiöse Prozessionen auf dem Land
Auf festlich dekorierten Wägen wurden Räucherstäbchen, Blumen oder kleine Gefäße mit Duftpulvern platziert und sorgten so für eine Atmosphäre, in der der Geruchssinn in Verbindung mit den anderen Sinnen vielfältige Eindrücke hervorrief.

Fürstliche Einzüge
Ebenso wie die provisorischen Bauten und Scheinarchitekturen, die man für die Festlichkeiten errichtete, hinterließen auch die Düfte einen starken Eindruck, waren aber flüchtig. Die Verwendung von aromatischen Substanzen bei königlichen Festlichkeiten, wie etwa beim Einzug von Königin Marie Louise d’Orléans in Madrid 1680, diente symbolisch dazu, auch olfaktorisch die Wahrnehmung von Tugend und Macht zu erzeugen und gleichzeitig die unangenehmen Gerüche der Stadt zu überdecken.
Straßenfeste
Sogar der Fasching, der traditionell in der harten Winterzeit gefeiert wurde, wenn frische Lebensmittel fehlten, war oft opulenter Ausdruck von Düften und Aromen. Dieser riesige Wagen, gezogen von den Hauptfiguren der Commedia dell'arte, gelenkt vom berühmten Harlekin und aus kulinarischen Köstlichkeiten gebaut, ist eine bewegliche Allegorie des Sieges des Überflusses über den Hunger ...
Konnte man das alles nur sehen und schmecken oder auch riechen?
Die Räder sind nichts anderes als Käselaibe, das Zaumzeug besteht aus Würsten und der Wagenkasten aus einer riesigen Brotkruste. Sind das etwa die letzten Reste aus der kaiserlichen Speisekammer oder bedeutet es, dass doch noch genügend Lebensmittel da waren?
Natürlich konnte man das auch riechen!

Die Gerüche der Festlichkeiten verbreiteten sich überall
sogar an Orte, an denen sich Menschen befanden, die von diesen Festen ausgeschlossen waren.
Duftende Zeremonien, Aromen von Heiligkeit
Düfte spielten auch im religiösen Kontext eine wichtige Rolle.
In den Kirchen, wo nach dem Tod bedeutender Persönlichkeiten ephemere Katafalke aufgestellt wurden, war die Luft voller Gerüche …
Die Narde: Das Aroma Christi
Hauptbestandteil des Balsams für den christlichen Wandlungsritus war in der Vergangenheit wie heute die Essenz der Narde, denn mit diesem Duft salbte Maria Magdalena die Füße Jesu.
Die Bedeutung dieser und anderer Salbungen für das Christentum zeigt sich in der Chrisammesse, einer liturgischen Feier der katholischen, anglikanischen und lutherischen Kirchen, bei der die heiligen Öle gesegnet werden, die in verschiedenen Sakramenten verwendet werden.
Festgerüche im Garten
Gärten haben in der Festtradition der Frühen Neuzeit schon immer eine große Rolle gespielt. Nach dem mittelalterlichen Hortus conclusus, einem privaten Ort, der der Meditation vorbehalten war, öffnete sich der Garten als Ort von Festlichkeiten. Seine Architektur, die die Natur in einer geometrischen Struktur zu binden sucht, bietet die Möglichkeit, die Düfte von Pflanzen und Blumen systematisch wahrzunehmen.
Am 6. Februar 1785 gab Kaiser Joseph II. in der Orangerie von Schönbrunn eine festliche abendliche Tafel mit einer Theateraufführung und anschließendem Ball.
„Die Blumen aller Jahreszeiten dufteten hier im strengsten Winter auf einem prächtigen Tisch, rundherum standen Bitterorangen- und Zitronenbäume [...] .“
Ein Gast namens Hieronymus Löschenkohl
Im April 1622 wurde im Jardín de la Isla neben dem Palast von Aranjuez, eine außergewöhnliche Szenerie blumiger Aromen, La gloria de Niquea aufgeführt, eine „Erfindung“ von Juan de Tassis y Peralta, Graf von Villamediana.
„Quedaron absortos los sentidos, confessando las Ideas del ingenio más culto, que no pudieran llegar imaginadas hermosuras a la parte menor de su belleza. Desataron con aromas la Asyria y Pancaya, sin las yervas y flores, que alanbicadas vistieron de olorosa fragrancia la pureza de los aires, y como el Carro espirava rayos de visivas luzes, parecia oloroso monumento de la abrasada Fenix […]“
„Die Sinne wurden vollkommen absorbiert, und die Ideen des kultiviertesten Geistes bekannten, dass keine imaginierte Schönheit den geringsten Teil ihrer Schönheit erreichen könnte. Assyrien und Pancaya waren mit Aromen entfesselt, ohne die Gräser und Blumen, die, wenn sie ausgerichtet waren, die Reinheit der Luft mit intensivem Duft kleideten, und als der Wagen Strahlen sichtbaren Lichts aussandte, erschien er wie ein duftendes Denkmal des verbrannten Phoenix.“
Juan de Tassis, Count of Villamediana, Comedia de la Gloria de Niquea, y descripcion de Aranjuez, fol. 8
Gerüche von Krankheit und Rituale in der Stadt
Gute Gerüche waren in der festlichen und religiösen Tradition wichtig, da sich sonst oft üble Gerüche in der Stadt und auf dem Land verbreiteten. Es gab kein Abwassersystem, und es war üblich, Pferde, Ochsen und andere Tiere auf den Straßen zu finden.
Wegen all des vielen Schmutzes und Abfalls konnten die städtischen Zentren sehr ungesund sein, und es konnten leicht Epidemien ausbrechen.
1679. Die Pest in Wien
Die Pest war eine hochansteckende bakterielle Erkrankung, die in Wien und anderen europäischen Städten erst sehr spät ausbrach.
Selbst in improvisierten Krankenhäusern war es üblich, Reinigung der Luft durchzuführen
Selbst in improvisierten Krankenhäusern war es üblich, zur Reinigung der Luft Räucherungen mit Rosmarin- oder Wacholderessenzen durchzuführen.
1679. Die Pest in Malaga
Dieses Gemälde eines anonymen Künstlers zeigt die Epidemie, die im Frühjahr und Sommer 1679 in Antequera (Málaga) und anderen andalusischen Städten wütete. Dessen Auftraggeber, der Chirurg Juan Bautista Napolitano, ist in jeder der Szenen porträtiert, die gleichzeitig verschiedene Behandlungen der Krankheit zeigen. Die widerlichsten Gerüche der Stadt vermischten sich mit anderen, die von verschiedenen hygienischen und vorbeugenden Praktiken zur Desinfektion und Reinigung der Umgebung herrührten, aber auch mit weiteren Gerüchen, die mit religiösen Ritualen in Verbindung standen.
Der Körper – Inszenierung und Ort von Gerüchen
Wenn wir über die Bedeutung des Geruchs in der Frühen Neuzeit sprechen, sollten wir nicht nur an geschlossene oder offene Räume denken, sondern auch an den Körper selbst als Träger und Produzent von Gerüchen. Und …
sondern auch im medizinischen Aberglauben …
Pomander, 15–16th c. Bernstein und Gold. Wien, Kunsthistorisches Museum, Kunstkammer, Inv.-Nr. 6345.
bei Heilmitteln …
„[…] unos traían un saquillo de solimán junto al corazón, pegado a las carnes, y otros debajo del brazo, unos se los quitaron porque en estas partes les causó muy grandes llagas, y otros porque sentían con él muy grandes desmayos y congojas en el corazón.“
„[…] manche trugen einen Beutel mit Nachtschattengewächsen am Herzen, direkt auf der Haut, und andere unter dem Arm; einige nahmen ihn ab, weil er ihnen an diesen Stellen große Wunden verursachte, und andere, weil sie große Schwäche und Schmerzen im Herzen verspürten.“
... und auch in Kosmetika.
Elfenbeinetui für vier Parfümfläschchen und einen Trichter, spätes 17.Jh. Wien, Kunsthistorisches Museum, Kunstkammer, Inv.-Nr. 4597.
Credits
Titel | So vergänglich wie ihre Gerüche. Die Rolle der Nase bei den Festen der Frühen Neuzeit |
Koordination | Rudi Risatti |
Autor*innen | Carmen González-Román, Concepción Lopezosa-Aparicio, Rudi Risatti, Andrea Sommer-Mathis |
Stimme | Rudi Risatti |
Bibliographie
Quellen
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